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Von Norbert Jonscher
Jürgen F. (43), sagen Nachbarn, sei ein unauffälliger Mensch gewesen. Ein netter Zeitgenosse, ein prima Kerl – aber halt auch ein Eigenbrötler, den monatelang niemand vermisste. Außer einer Katze. Nun ist F. tot. Seit September, sagt die Polizei, lag der 43-Jährige in seinem Apartment. Und alle fragen sich: Wie konnte das passieren?
Wir fahren zum Schauplatz. Ein Mehrfamilienhaus in der Altmühlstraße, von zwölf Parteien bewohnt, im Herzen der Weststadt. Ungefähr zwei Jahre, hört man, habe F. hier gewohnt, in einem Apartment im Erdgeschoss, gleich am Eingang.
Soviel ist klar: Hunderte-, ja tausende Mal müssen Mitbewohner an der Tür vorbeigegangen sein, hinter der F. lag – ohne sich zu kümmern, sich ernsthaft zu fragen: Warum eigentlich quillt der Postkasten nun schon seit Monaten über? Und: Warum sieht man den Mann in letzter Zeit nicht mehr, derweil seine Katze hinterm Haus rumstreicht?
Das alte Thema – die weit verbreitete Gleichgültigkeit, das Desinteresse am Nachbarn, das Nebeneinanderherleben. Wir sprechen mit einer Nachbarin (57). Sie sagt: "Ehrlich, ich hätte F. nicht mal gekannt, wenn er vor mir gestanden hätte." Nur einmal, erinnert sie sich, habe sie sich mit ihm unterhalten. Über Katzen (sie habe selber eine). Das war’s. Und die Katze war’s dann auch, um die sich die 57-Jährige ernsthaft sorgte. "Irgendwann hab ich mich gewundert: Nanu, man sieht die Katze ja gar nicht mehr!" Aber dann habe sie sich gedacht: Vielleicht hat F. ja auch seine Sachen gepackt, ist weg. Doch es gab auch andere Gedanken, schlimmere: "Liegt er vielleicht da?"
Dass sie monatelang Wand an Wand mit einer Leiche lebte, im Nachhinein empfindet es die 57-Jährige als "furchtbar". Nur, man habe ja auch nichts bemerkt, nichts gerochen. "Und die Post hat ja auch irgendwann jemand rausgenommen." Es war ein Mieter aus dem 2. Stock.
Und warum bemerkte niemand den starken Verwesungsgeruch? Warum wurde F. erst entdeckt, weil die Miete nicht gezahlt wurde? Die Erklärung hierfür ist simpel: Weil er im September, noch im Spätsommer also, die Balkontür offen gelassen hatte – wohl für die Katze.
Die hielt ihm bis zuletzt die Treue hielt. "Als sie ihn hier rausholten, lag sie neben ihm auf dem Boden." Im Tierheim hat das Tier nun eine neue Bleibe.
Jetzt, wo die Polizei die Balkontür endlich geschlossen hat, tritt starker Geruch aus der Wohnung. Eine Komplettrenovierung, überlegt ein Nachbar (80), sei wohl unumgänglich. Er selbst, gesteht er, habe F. schon seit Oktober vermisst. Doch seine Frau, sie habe ihn stets beruhigt: "Wer weiß, vielleicht muss der ja einsitzen. Der kommt schon irgendwann wieder!"
Denkmuster, die Polizeisprecher Joachim Grande gar nicht gefallen. Wünschenswert sei, sagt er, wenn Nachbarn auch die gegenüberliegende Tür im Auge behalten – vor allem, wenn Ältere dort wohnen.
Denn: Oft genug gebe es Situationen, in denen alte Menschen plötzlich Hilfe brauchen. Wie jetzt eine 93-Jährige in Broitzem. Erst Leitungswasser, das durch die Decke tropfte, alarmierte eine Nachbarin. Die alte Frau wurde gerettet.
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